Mathematischer Exkurs I

Die Gaußsche Zahlenebene

Briefmarke aus dem Jahr 1977 /
Stamp from 1977

Die komplexen Zahlen werden oft als Elemente der Gaußsche Zahlenebene dargestellt (vgl. Lexikon bedeutender Mathematiker, Verlag Harri Deutsch, Thun und Frankfurt (M.), 1990, S. 166) und damit mit Vektoren des zweidimenionalen Vektorraums IR2 assoziiert. Die Zuordnung ist naheliegend, nicht sehr aufregend und wird wie folgt hergestellt, wobei wegen der besseren Darstellbarkeit Vektoren - nicht wie üblich - als Spalten-, sondern hier als Zeilenvektoren wiedergegeben werden: Einer komplexen Zahl a+i·b - i ist hierbei die sogenannte imaginäre Einheit - wird umkehrbar eindeutig der Vektor (a, b) zugeordnet. (a und b sind hierbei reelle Zahlen.) Vektoren (dieser Form) lassen sich bezüglich der beiden Koordinatenachsen in der Zeichenebene darstellen. Zwar beschreibt ein Zahlenpaar (a, b) lediglich einen Punkt in der Ebene, doch wird daraus unmittelbar ein Vektor im traditionellen Sinn, wenn man die gerichtete Strecke vom Koordinatenursprung (0, 0) zu diesem Punkt betrachtet.

So bleibt noch zu untersuchen, welche Zusammenhänge bezüglich der Rechenoperationen im Zahlenkörper der komplexen Zahlen und den Rechenoperationen im zweidimensionalen reellen Vektorraum bestehen.

Die Addition von komplexen Zahlen ist wie folgt definiert: Seien a+i·b und c+i·d komplexe Zahlen, so ist

a+i·b + c+i·d = a+c + i·(b+d) .

Mit der imaginären Einheit rechnet man also wie mit einer Unbekannten - Terme, die sie nicht enthalten, können zusammengefasst werden, Terme, die sie (mit Exponenten 1) enthalten, ebenso. Einzig die Beziehung

i2 = -1

gilt es weiter unten zu beachten. Höhere Exponenten von i können dank dieser Beziehung eliminiert werden; so gilt für ik, dass für jedes k ein j existiert, so dass k = 2·j + k mod 2 gilt. Somit ist ik = ij · ik mod 2 = (-1)j · ik mod 2 . Der erste Faktor ist stets reell und der Exponent des zweiten kann entweder 0 (wenn k gerade ist) oder 1 (wenn k ungerade ist) sein. (Für ganze Zahlen m > 0 und n > 0 bezeichnet m mod n den Teilungsrest von m/n.) Man beachte, dass i0 = 1 ist.

Für die Addition von Vektoren im zweidimensionalen Vektorraum gilt: Seien (a, b) und (a, b) zwei Vektoren im IR2, so ist

(a, b) + (c, d) = (a+c, b+d) .

Damit lässt sich leicht ablesen, dass das Addieren von komplexen Zahlen bzw. Vektoren im IR2 sich entsprechende Rechenoperationen darstellen.

Als weitere Rechenoperation für Vektoren ist die sogenannte Skalarmultiplikation (nicht zu verwechseln mit dem Skalarprodukt) bekannt; diese ist wie folgt definiert: Seien s eine reelle Zahl und (a, b) ein Vektor im IR2, so ist

s · (a, b) = (s·a, s·b) .

Die Skalarmultiplikation hat zwar auch eine Entsprechung bei den komplexen Zahlen, die jedoch kaum eine gesonderte Beachtung erfährt. So ist für eine reelle Zahl s und eine komplexe Zahl a+b: s · (a+i·b) = s·a + i·s·b . Damit entsprechen sich auch Skalarmultiplikation (Multiplikation eines Vektors mit einem Skalaren / einer reellen Zahl) und Multiplikation einer komplexen Zahl mit einer reellen.

Die Multiplikation von komplexen Zahlen ist wie folgt definiert: Seien a+i·b und c+i·d komplexe Zahlen, so ist

(a+i·b) · (c+i·d) = a·c-b·d + i·(a·d+b·c) .

Dies ergibt sich aber aus den gewöhnlichen Rechenregeln unter Beachtung der Identität i2 = -1 . Man erkennt, dass die Multiplikation einer komplexen Zahl mit einer reellen ein Spezialfall ist (s = s+i·0). Im Vektorraum IR2 gibt es keine entsprechende Vektoroperation.

Eine geometrische Interpretation der Vektoraddition ergibt sich z. B. bei Kräfteparallelogrammen. Die Skalarmultiplikation (mit dem Skalaren s) definiert eine Längenänderung eines Vektors um das |s|-fache unter Beibehaltung der Richtung, ggf. aber mit Richtungsumkehr, wenn s negativ ist.

Hierbei leitet sich die Länge || (a, b) || eines Vektors (a, b) aus dem Satz des Pythagoras ab, und es gilt:

|| (a, b) || = (a2+b2)1/2

Analog lässt sich die Länge einer komplexen Zahl definieren, doch hat sich hierfür der Begriff Betrag etabliert. Allerdings verwendet man eine abweichende Definition, die jedoch der Längendefinition entspricht: Sei z = a+i·b eine komplexe Zahl, dann ist der Betrag von z durch

z | := (z · z*)1/2

definiert, wobei z* die zu z konjugiert komplexe Zahl bezeichne, d. h.

z* = a-i·b .

Seien z und z komplexe Zahlen, so gelten folgende Beziehungen: (z + y)* = z* + y* , (z · y)* = z* · y* , | z* | = | z | und (z*)* = z .

Zum Zwecke einer geometrischen Interpretation der Multiplikation zweier komplexer Zahlen soll noch eine andere Darstellung abgeleitet werden.

Sei ein Vektor (a, b) gegeben und bezeichne ß den Winkel, den der Vektor mit der positiven Abszissenachse im Koordinatenursprung bildet, gemessen im Gegenuhrzeigersinn von der Abszissenachse aus. Dann gilt

a = || (a, b) || · cos ß
b = || (a, b) || · sin ß

und analog für eine komplexe Zahl z = a+i·b

z = | z | · (cos ß + i·sin ß) .

Sei nun eine komplexe Zahl z0 = a0+i·b0 = | z0 | · (cos ß0 + i·sin ß0) fest vorgegeben und z = a+i·b = | z | · (cos ß + i·sin ß) eine beliebige komplexe Zahl. Dann ist

z0 · z = | z0 | · | z | · (cos ß0 + i·sin ß0) · (cos ß + i·sin ß)
 = | z0 | · | z | · (cos ß0 cos ß - sin ß0 sin ß + i · (cos ß0 sin ß + sin ß0 cos ß))
 = | z0 | · | z | · (cos( ß0+ß) + i·sin( ß0+ß)),

wobei im letzten Schritt die Additionstheoreme der Winkelfunktionen cos und sin angewendet wurden (vgl. Bartsch, J.: Mathematische Formeln, VEB Fachbuchverlag Leipzig, 1969, S. 166).

Nun lässt sich sagen, dass durch die Multiplikation einer komplexen Zahl z mit einer weiteren z0 erstere eine Längenveränderung um den Faktor | z0 | und eine Drehung um den Winkel ß0 erfährt, die Multiplikation komplexer Zahlen also als Drehstreckung interpretiert werden kann. Bzgl. des Vektorraums IR2 ist Entsprechendes mit Hilfe linearer Abbildungen erreichbar, was jedoch hier nicht ausgeführt werden soll.


Zurück zur Hauptseite Erstellt von Wolfgang Volk im Juni 2003
Zuletzt formal ergänzt am 8. Juni 2009

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